Das
Bauen im Bestand und die Umnutzung vorhandener Gebäude erhalten
immer größere Bedeutung. Vor allem in ehemaligen Industrieregionen
können brachgefallene alte, vom Abriss verschonte Fabrikationsanlagen
nicht immer in Gewerbeparks oder für Kulturinstitutionen eine neue
Aufgabe gewinnen. Die Umwandlung in Wohnungen bot sich bisher seltener
an, obwohl das Wohnen im Loft inzwischen gerade bei kreativen Menschen
eine akzeptable Alternative darstellt. Während in den 50er und
60er Jahren Künstler und Bohemiens den fehlenden Komfort, aber
die billige Miete akzeptierten und die enge Verbindung von Arbeiten
und Wohnen schätzten, erlaubt das Loft-Leben heute Singles und
Paaren auch einen exclusiven, herausgehobenen Lebensstil: er repräsentiert
sich in der unkonventionellen Wohnform und der evidenten industriellen
Tradition des Gebäudes. Die damit mögliche Singularität
jedes einzelnen Lofts könnte aber nur in Großstädten
auf ein ausreichendes Potential an Interessenten treffen.
Das hier vorzustellende Projekt zeigt entscheidende Abweichungen. Zunächst
handelt es sich um eine Anzahl nebeneinanderliegender Lofts, einer eingeschossigen
Reihenhauszeile vergleichbar. Sie werden sich auch für Familien
mit Kindern oder für Wohngemeinschaften eignen. Schließlich
sollen sie in einer Stadt mit nur 40000 Einwohnern entstehen, in St.
Ingberts Alter Baumwollspinnerei, die ab 1885 als Geschoßfabrik
mit drei Etagen errichtet wurde. Für die Umnutzung bietet ihre
innerstädtische Lage nahezu ideale Voraussetzungen - in kürzester
fußläufiger Entfernung sind alle wichtigen Stadtorte zu erreichen.
Das weitläufige Anwesen liegt an der Inneren Ringstraße in
enger Nachbarschaft zu einem weltweit tätigen Softwareunternehmen
und wird jenseits dieser Straße von der Eisenbahntrasse Saarbrücken-Mannheim
tangiert. 
Dominanter Hauptbaukörper der imposanten, unter Denkmalschutz
stehenden Anlage ist das 70m lange und etwa 30m tiefe Spinnereigebäude,
in klassischer Industrie-Architektur aus Buntsandstein gemauert. An
der westlichen Stirnseite schließen sich ein niedrigeres Maschinenhaus
und das turmartige Kesselhaus an. Ein hoher freistehender Schornstein
signalisiert den neuen Gebäudeeingang. Trafohaus und Lagergebäude
verteilen sich auf dem Gelände, dessen große Freiflächen
eine störungsfreie Trennung in Parkierungszonen und Gartenanlagen
ermöglichen.
Die solide Bausubstanz, ihr guter Erhaltungszustand, die ästhetische
Vielfalt der Details, unterschiedliche Baukörper mit großzügigen
und spannungsreichen Raumstrukturen fordern eine lebendige Nutzungsvielfalt
geradezu heraus. Und so projektieren der Eigentümer Werner Deller
und die Saarbrücker Architekten Wandel-Hoefer-Lorch die Einrichtung
von Museums-Ausstellungsflächen, Künstlerateliers, Büroeinheiten
und eben Wohnungen in Form von Lofts. Die Mischnutzung soll die Anlage
ständig belebt halten. Jüngere Anbauten sollen entfernt, alle
Baukörper sorgfältig saniert, Charakteristik und Charme jedes
einzelnen behutsam unterstrichen, unterschiedliche Baumaterialien und
Details betont werden und notwendige Ergänzungen sich in einer
klaren strengen Architektursprache eindeutig als neu zu erkennen geben.
Für
Deller ist die Entwicklung dieses interessanten Projektes ein Prozeß,
der sich immer neuen Herausforderungen stellen muß. Auf Einzelheiten
kann hier nur hinsichtlich der Wohnnutzung eingegangen werden. Ebenerdig
werden die einzelnen Fabriketagen über ein gemeinsames weitläufiges
neues Foyer erschlossen, das auch als Service-Station, etwa mit e-commerce-Boxen
u.ä., dienen könnte. Es bietet reizvolle Einblicke auf die
alte schmale Maschinistentreppe und in den engen, über die gesamte
Bauhöhe führenden Seilschacht mit der historischen Kranbahn.
Über das bestehende Treppenhaus erreicht man die Lofts im obersten
Geschoß, dessen Charakter, wie auch der der darunterliegenden
Etagen, von gleichsam unendlicher Weite, durch hohe Fensterreihen einflutendes
Tageslicht und einen Wald von schlanken gußeisernen Stützen
bestimmt wird: sieben lange Reihen mit unterschiedlich breiten Zwischenräumen,
senkrecht dazu acht Reihen mit dem gleichmäßigen Abstand
von 6,30m. Die Auseinandersetzung mit dem vorhandenem Raum bedeutet
Potential und Selbstbeschränkung zugleich. So zwingt das vorgegebene
Raster der Säulenstellung zu Konsequenzen und gibt die neuen Teilungsstrukturen
vor. Die Wohnungstrennwände werden sich in Nord-Südrichtung
jeweils mittig zwischen den Stützenreihen erstrecken, so daß
ca 6,30m breite und im Mittel 4,80m hohe Einheiten entstehen, die mit
einer gemeinsamen vom Boden bis zur Decke reichenden Glasfassade gegen
einen straßenartigen Laubengang abgeschirmt sind. Er erstreckt
sich über die gesamte Baulänge, dient gleichzeitig als unbeheizter
Wohnungszugang und als Klimapuffer und Lärmschutz zur Eisenbahn.
Er ist der Bereich, der die ursprüngliche Raumstruktur auch weiterhin
authentisch bewahrt und sichtbar macht: das Sandsteinmauerwerk, die
durch gußeiserne Rahmen in Quadrate unterteilten Fenster, den
Fliesenfußboden und eine Säulenreihe in der Gebäudelänge.
Durch
die neuen Glaswände kann Tageslicht in die Wohnungen eindringen.
Auf der gegenüberliegenden Nordseite fällt es unmittelbar
durch die alten Fenster. Dennoch braucht die mittlere Zone in diesen
ca. 25m tiefen Wohneinheiten zusätzlich Licht und Luft. Beides
kommt von oben durch großzügige Deckendurchbrüche, die
ein hochgehobenes Glassatteldach schützt und die in der Wohnung
einen intimen Innenhof markieren. Eine Treppe führt hinauf auf
ein Podest in diesem Glasaufbau, und erlaubt den Austritt auf die Dachterrasse.
Hier genießt man einen herrlichen Rundblick über die Stadt
und die bewaldete Berglandschaft der Umgebung. So wird den Käufern
auf 180m² Grundfläche ein langer weiter offener Raum zur Verfügung
gestellt, der durch den individuellen Einbau von Zwischengeschossen,
Galerien, geschlossenen Räumen, Küchen vielfältige gestalterische
Möglichkeiten eröffnet und damit auch wieder die Einzigartigkeit
betont. Die freistehenden Säulen in der mittleren Achse symbolisieren
die ursprüngliche Nutzung, bringen aber auch Widrigkeiten mit sich,
sind Herausforderung an die Kreativität der Bewohner, denen der
gesamte Innenausbau obliegt. Denn in diesem "Ausbauhaus" sind
nur die Trennwände und Fassaden einheitlich gestaltet, haustechnisch
lediglich die Anschlußmöglichkeiten an die Versorgungsleitungen,
die als Bussystem in einer Vorwandinstallation untergebracht werden
sollen und die Heizung vorgegeben. Gedacht wird an eine durchgehende
Fußbodenheizung, die bei der gegebenen Raumhöhe ideal erscheint
und hohen Druckbelastungen standhält.
Deller
plant die Errichtung eines Modell-Lofts, um Ausbaumöglichkeiten
zu zeigen und um die technischen Möglichkeitenfür eine optimale
Stromversorgung und flexibel zu schaltende Lichtszenarien - ohne umständliche
Verkabelung - auszuloten. Mit dem Einbau von Solarelementen auf der
Südseite des Glasdaches ließe sich zudem die nötige
Energie für die Warmwasserbereitung gewinnen. Hinter diesem Projekt
steht also auch ein durchdachtes ökologisches Ausbaukonzept. Einzelne
Raum-Container, konstruiert in Holzfachwerk, nur als lose Einbauten
ohne Verankerung in Decke oder Wand einfach auf dem Boden gestellt,
umhüllen abgeschlossene Räume oder bilden eine zweite Etage.
So könnte auf versetzten Ebenen gewohnt werden, ohne dass durch
starre Einbauten Lichtfluß und Sicht behindert werden. Und schließlich
lassen sich durch den individuellen Innenausbau auch die Kosten an die
finanziellen Möglichkeiten jedes Einzelnen anpassen, - die Erwerbskosten
entsprechen den Kosten eines konventionellen Hauses in entsprechendem
Ausbaugrad-, denn Deller strebt vor allem auch eine soziale Mischung
der Bewohner an. Auch ihre handwerklichen oder gärtnerischen Interessen
könnten sie hier wahrnehmen, in Werkstätten im Keller, in
einzelnen Gartenparzellen am Haus.
Text: Marlen Dittmann